Zur Abgrenzung zwischen grober Fahrlässigkeit und bedingtem Vorsatz.

OLG Hamm, Urteil vom 27.03.2013 – I-11 U 25/12, 11 U 25/12

Zur Abgrenzung zwischen grober Fahrlässigkeit und bedingtem Vorsatz.

(Leitsatz des Gerichts)

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das am 13.12.2011 verkündete Urteil des Einzelrichters der 11. Zivilkammer des Landgerichts Münster wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund dieses Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, sofern der Beklagte vor der Vollstreckung nicht Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Das angefochtene Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.

Gründe

I.

1

Der Kläger, ein Polizist im Dienst des beklagten Landes, macht aufgrund einer bei einer polizeilichen Übung erlittenen Augenverletzung aus dem Gesichtspunkt der Amtshaftung gegen das beklagte Land einen Schmerzensgeldanspruch i.H.v. mindestens 15.000 EUR sowie einen Anspruch auf Feststellung der Einstandspflicht für alle künftigen materiellen und immateriellen Schäden geltend.

2

Der Kläger ist Polizist im Dienst des beklagten Landes, eingesetzt im Wach- und Wechseldienst. Er wurde im Jahr 2005 zum Personenschützer ausgebildet und war seitdem sporadisch in diesem Bereich tätig. Bei der Teilnahme an einer regelmäßig stattfindenden Anpassungsfortbildung in diesem Zusammenhang wurde er am 15.11.2007 verletzt. Ein simulierter Gefangenentransport von der JVA Bochum zur JVA Münster wurde gestoppt und durch Ausbilder “angegriffen”, welche mit Farbmarkierungspatronen (FX-Munition) die Fahrzeuge beschossen. Der Kläger als Insasse eines der Fahrzeuge trug – wie alle anderen Teilnehmer auch – keine Schutzausrüstung. Der Zeuge M als Planer und Leiter der Übung hatte in Absprache mit dem Zeugen G, seinem Vorgesetzten, entschieden, dass solche nicht getragen werden sollte. Der Angriff selbst war den Teilnehmern nicht vorab bekannt gegeben worden. Ob die “Angreifer” dabei angewiesen waren, sofort das Feuer einzustellen, wenn sich ein Fahrzeug öffnet, ist streitig.

3

Nach Beginn des Angriffs öffnete der Kläger eine Fahrzeugtür und wurde von einem vom Zeugen H versehentlich abgefeuerten Farbmarkierungsgeschoss am Kopf getroffen und erlitt eine Verletzung des rechten Auges. Infolge der erlittenen Verletzung wurde der Kläger mehrfach stationär behandelt und war vom 15.11.2007 bis 01.04.2008 krankgeschrieben und dienstunfähig. Bei der Operation am 30.11.2007 wurde die Linse des rechten Auges durch eine künstliche ersetzt. Infolge der Verletzung kam es zum Verlust der rechtsseitigen Akkomodation, so dass das Scharfsehen von Objekten eingeschränkt ist – was allerdings durch eine entsprechende Brille korrigiert wird. Durch Einschränkung der Pupillenmotorik ist eine erhöhte Blendungsempfindlichkeit des Klägers gegeben. Augenärztliche Kontrollen in Abstand von ¼ – Jahr wurden dem Kläger anempfohlen.

4

Durch das Polizeipräsidium Dortmund wurde der Vorfall vom 15.11.2007 als Dienstunfall im Sinne von § 31 BeamtVG anerkannt. Bei dem Kläger wurde infolge der Verletzung ein dauerhafter GdB von 10 % festgestellt.

5

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Wegen der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Vorbringens der Parteien wird auf den Inhalt der tatsächlichen Feststellungen, im Übrigen zudem auf die rechtlichen Erwägungen im angefochtenen Urteil Bezug genommen, § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO. Im Berufungsverfahren haben sich folgende Ergänzungen ergeben:

6

Der Kläger rügt mit seiner Berufung im Wesentlichen, dass das Landgericht die Anforderungen an eine vorsätzliche Verletzung einer Amtspflicht verkannt habe. Angesichts des von den Zeugen M und G bei ihrer jeweiligen Zeugenvernehmung bekundeten hohen Kenntnis- und Ausbildungsstandes sei es nicht glaubhaft, dass diese die eindeutigen Vorgaben der hier relevanten Dienstvorschriften (PDV 211, PDV 230, Richtlinien für Einsatztrainings mit Farbmarkierungswaffen im Rahmen der integrierten Fortbildung) verkannt hätten. Soweit sie eingeräumt hätten, das sie auf die Schutzausrüstung verzichtet hätten, um die Übung so realitätsnah wie möglich zu machen, liege darin das Eingeständnis, dass sie sich bewusst über die ihnen grundsätzlich bekannte Pflicht zum Tragen von Schutzkleidung hinweggesetzt hätten.

7

Soweit das Landgericht den Zeugen zugutehalte, dass sie die Übungsgestaltung (Schüsse nur auf die Fahrzeuge; sofortige Feuereinstellung bei Öffnen eines derselben) als ausreichenden Schutz angesehen hätten, sei dies eine unzutreffende Würdigung der insoweit nicht glaubhaften Zeugenaussagen. Es sei schon unrichtig, in den Fahrzeugen einen gleichwertigen Schutz anzunehmen, da letztlich jedes Öffnen eines Fensters seitens der Insassen für die Angreifer kaum erkennbar gewesen sei, den Schutz aber aufgehoben hätte. In gleicher Weise sei unverständlich, warum dann nicht den Insassen klar verdeutlicht worden sei, dass das Fahrzeug geschlossen zu halten und ein Ausstieg allenfalls zur feuerabgewandten Seite erfolgen dürfe. Letztlich hätten die Zeugen M und G auch nicht darauf vertrauen dürfen, dass die “Angreifer” rechtzeitig das Feuer einstellten – mit einem menschlichen Versagen müsse immer gerechnet werden, gerade auch von den nach eigener Darstellung hochqualifizierten Zeugen. Insofern könnten sich die Zeugen nicht darauf zurückziehen, sie hätten geglaubt, die Vorschriften für die Sicherheitsausrüstung hätten vorliegend keine Geltung gehabt, weil ja die Sicherheit anderweitig gewährleistet gewesen sei.

8

Gleiches gelte für die unglaubhafte Bekundung der Zeugen G und M, sie hätten gedacht, die PDV 230 und 211 gälten für Spezialeinheiten nur sinngemäß. Es müsse davon ausgegangen werden, dass sie sich vollkommen im Klaren darüber gewesen seien, dass sie bei der Übung nicht von der PDV 230 hätten abweichen dürfen. Abgesehen davon, dass er, der Kläger, als Polizist mit der Zusatzausbildung Personenschützer nicht den Spezialeinheiten zuzurechnen sei, sei zudem die FX-Munition gerade für Spezialeinheiten angeschafft worden, um realitätsnäher trainieren zu können. Gleichwohl sei die Verwendung der FX-Munition ausnahmslos an die Verwendung der erforderlichen Schutzausrüstung geknüpft gewesen. Insofern sei das Abweichen von dieser Vorgabe ein Verstoß, der angesichts des Ausbildungsstandes, den der Zeuge M sich zuschreibe, nur als vorsätzlich erachtet werden könne. Die Argumentation des beklagten Landes laufe darauf hinaus, dass sich die Zeugen M und G in einem Verbotsirrtum befunden hätten, weil sie die Widerrechtlichkeit ihres Verhaltens nicht erkannt hätten. Abgesehen davon, dass dieser in jedem Fall vermeidbar gewesen wäre betreffe dies – vgl. § 17 StGB – den Bereich der Schuld, nicht aber den des Vorsatzes.

9

Erstmals mit der Berufung stützt sich der Kläger darauf, dass die Zeugen G und M ausweislich ihrer eigenen – zwar als unglaubhaft zu bewertenden – Bekundungen nur unzureichend über die rechtlichen Grundlagen für Übungen der vorliegenden Art informiert gewesen seien. Angesichts dessen, dass der Zeuge G Fachkoordinator und Zuständiger für die Ausbildung von Spezialeinheiten im Land NRW und der Zeuge M einer seiner leitenden Mitarbeiter sei, müsse festgehalten werden, dass sie in diesem Falle ihre Pflicht zur Weiterbildung verletzt hätten, die ihnen nach § 42 Abs. 2 BLV bzw. § 42 LBG NW obliege. Dieser Vortrag habe in 1. Instanz nicht erfolgen können, weil er erst im Zuge der Beweisaufnahme zutage getreten sei und das Landgericht eine Stellungnahmefrist dazu nicht bewilligt habe.

10

Der Kläger beantragt,

11

1) unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Münster vom 13.12.2001 – Az.: 011 O 68/11 wird das beklagte Land verurteilt, ein angemessenes und mit fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit verzinsliches Schmerzensgeld zu zahlen, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, 15.000 EUR jedoch nicht unterschreiten sollte.

12

2) unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Münster vom 13.12.2001 – Az.: 011 O 68/11 wird festgestellt, dass das beklagte Land verpflichtet ist, dem Kläger sämtliche weiteren materiellen und immateriellen Schäden zu ersetzen, welche infolge der Amtspflichtverletzung ab dem 15.11.2007 durch das beklagte Land entstanden sind bzw. noch entstehen werden, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder Dritte übergegangen sind bzw. übergehen werden.

13

Das beklagte Land beantragt,

14

die Berufung zurückzuweisen.

15

Das beklagte Land verteidigt das angefochtene Urteil unter Wiederholung und Vertiefung seiner erstinstanzlichen Ausführungen. Die Beweiswürdigung des Landgerichts sei nicht zu beanstanden, die Aussagen der Zeugen M und G glaubhaft.

16

Es ist der Auffassung, dass der erstmals in der Berufungsinstanz erhobene Vortrag des Klägers zu den vermeintlich unterlassenen Fortbildungsaktivitäten präkludiert und zudem unsubstantiiert sei. Dem unbestimmten Vorbringen sei zudem nicht zu entnehmen, dass insofern ein vorsätzliches Verhalten vorliege. Der Kläger sei im Übrigen als ausgebildeter Personenschützer selbstverständlich den Spezialkräften des Landes zuzurechnen.

17

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den vorgetragenen Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

18

Der Senat hat die Ermittlungsakte der Staatsanwaltschaft Münster zum Aktenzeichen 70 Js 204/07 beigezogen und zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht.

II.

19

Die Berufung des Klägers ist zulässig, bleibt aber ohne Erfolg.

20

Die Klage ist zwar insgesamt, insbesondere auch hinsichtlich des Feststellungsantrags zulässig. Das gemäß § 256 ZPO erforderliche Feststellungsinteresse ist gegeben, da angesichts der Natur der eingetretenen Verletzung nicht auszuschließen ist, dass sich die gesundheitliche Situation des Klägers noch in einer derzeit nicht vorhersehbaren Weise verschlechtern wird.

21

In der Sache erweist sich die Klage und damit die Berufung aber als unbegründet. Zwischen den Parteien ist zu Recht nicht im Streit, dass für die vom Kläger begehrten Rechtsfolgen – Schmerzensgeld und Feststellung der Verpflichtung zum Schadensersatz – als Anspruchsgrundlage einzig ein Anspruch wegen Amtspflichtverletzung gemäß § 839 BGB i.V.m. Art 34 GG in Betracht kommt und insoweit erforderlich ist, dass die Amtspflichtverletzung vorsätzlich erfolgte, weil ansonsten § 46 BeamtVG entsprechende Ansprüche des Klägers ausschließt. Den ihm obliegenden Nachweis, dass die für das beklagte Land handelnden Amtsträger im Zusammenhang mit der polizeilichen Übung am 15.11.2007 ihre Amtspflichten vorsätzlich verletzt haben, vermochte der Kläger indes nicht zu führen. Im Einzelnen:

1)

22

Die Zeugen M und G sind als Verantwortliche für die Fortbildungsmaßnahme der Polizei NRW bei der Planung und Durchführung der Übung vom 15.11.2007 in Ausübung eines ihnen anvertrauten öffentlichen Amtes tätig geworden und haben damit als Beamte im Sinne von § 839 BGB gehandelt.

2)

23

Durch die Ausgestaltung der Übung am 15.11.2007, namentlich die Entscheidung, auf eine individuelle Schutzausrüstung zu verzichten, haben die Zeugen G und M auch eine gegenüber dem Kläger bestehende Amtspflicht verletzt.

a)

24

Amtspflichten sind öffentlich-rechtliche Verhaltenspflichten, die sich auf die Wahrnehmung eines öffentlich-rechtlichen Amtes beziehen. Sie richten sich zunächst an den Amtswalter, der sie im Innenverhältnis zum Dienstherren zu beachten hat. Amtspflichten leiten sich einmal aus den geschriebenen und ungeschriebenen Normen des Bundes-, Landes- und Gemeinschaftsrechts ab. Daneben sind auch die innerdienstlichen Weisungen und Verwaltungsvorschriften – etwa Runderlasse – geeignet, Amtspflichten zu begründen (vgl. Staudinger/Wöstmann, Neubearbeitung 2012, Rz. 118 zu § 839 BGB unter Hinweis auf BGH NVwZ-RR 2000, 746; NJW 2001, 3054, 3056).

b)

25

Vorliegend liegt in der Anordnung, bei der Übung auf die Anlegung individueller Schutzausrüstung – insbesondere solcher im Kopfbereich – für FX-Munition zu verzichten, ein Verstoß gegen die für bei der Vorbereitung und Durchführung der Übung zu beachtenden Bestimmungen vor.

aa)

26

Für die Übung vom 15.11.2007 waren die Vorgaben für die Art und Weise der Durchführung der PDV 230 zu entnehmen, die sich speziell mit der Konzeption und Abhaltung polizeilicher Übungen befasst, nicht aber – wie der Kläger meint – die PDV 211 (wegen des Inhalts der beiden polizeilichen Dienstvorschriften wird auf die zur Verfahrensakte gereichten Ablichtungen derselben verwiesen). Diese ist für das Schießtraining gedacht. Wie aus Ziffer 2 der PDV 211 zu entnehmen ist, ist Ziel des Schießtrainings die sichere Handhabung der Schusswaffe. Dagegen war die Verbesserung der Fähigkeiten im Schusswaffengebrauch im Rahmen der Übung am 15.11.2007 ersichtlich nicht Ziel der Ausbildung. Die verwendeten FX-Waffen wurden allein von den Ausbildern geführt; die Übungsteilnehmer sollten dagegen von der Schusswaffe überhaupt keinen Gebrauch machen. Nach den übereinstimmenden Angaben der Zeugen sollte die Übung vielmehr abgebrochen bzw. der Beschuss eingestellt werden, wenn es zu einem Öffnen der Fahrzeuge kam.

27

Nach der PDV 230 ist bei einer Übung, in der FX-Munition verschossen wird, für alle Teilnehmer der Übung das Tragen der entsprechenden individuellen Schutzausrüstung, wie sie in der PDV 211 Ziffer 8.4 beschrieben ist, erforderlich. Zwar ist in der PDV 230 die Ausführung der Ordnungs- und Sicherheitsbestimmungen nicht so konkret wie in der PDV 211, welche in Ziffer 8.4 beim Training mit FX-Munition ausnahmslos Schutzkleidung, insbesondere einen Kopf-, Gesichts- und Halsschutz vorschreibt. Es ist in Ziffer 8.1.1 der PDV 230 allerdings festgehalten, dass Gefahren für Übungsteilnehmer und Unbeteiligte grundsätzlich auszuschließen sind. Zudem wird auch in der PDV 230 unter Ziffer 8.2.1 festgeschrieben, dass Übungsmunition – darunter fällt auch die Munition für Farbmarkierungssysteme – nur aus dafür vorgesehenen Schusswaffen unter Einhaltung der entsprechenden Sicherheitsbestimmungen verschossen werden darf. Welche die “entsprechenden Sicherheitsbestimmungen” sind, ergibt sich aus der PDV 230 zwar nicht direkt. Wie das Landgericht sieht aber auch der Senat, dass die Bestimmung der PDV 211 sinngemäß auch eine solche Übungssituation wie die gegebene erfasst. Zumindest das in der PDV 211 erfasste und geregelte Einsatztraining, das sich an realitätsnahen Einsatzlagen orientieren soll, zeigt eine Vergleichbarkeit mit der hier durchgeführten Übung. Es liegt demzufolge nahe, die in der PDV 211 ausgeführten Sicherheitsbestimmungen, die gerade den vom Schusswaffengebrauch ausgehenden Gefahren begegnen soll, auch auf die gegebene Einsatzsituation zu übertragen. Hinzu tritt, dass zumindest in der “Richtlinie für Einsatztrainings mit Farbmarkierungswaffen im Rahmen der Integrierten Fortbildung” (zum Inhalt vgl. Bl. 110 der beigezogenen Ermittlungsakte 70 Js 204/07 der Staatsanwaltschaft Münster) klar geregelt ist, dass von allen Teilnehmern durchgängig eine Schutzkleidung zu tragen ist, zu der zumindest ein Kopf- und ein Halsschutz als Vollschutz des Kopfes gehören.

bb)

28

Bei der Übung am 15.11.2007 durfte auch nicht aufgrund besonderer Umstände von dem Erfordernis, die Teilnehmer aufgrund der beabsichtigten Verwendung von FX-Munition mit einer individuellen Schutzausrüstung zu versehen, abgewichen werden.

(1)

29

Der Umstand dass nach der vom beklagten Land behaupteten Konzeption der Übung an sich keiner der Fahrzeuginsassen einem Beschuss hätte ausgesetzt werden sollen, weil dieser unmittelbar bei Öffnen eines der Fahrzeuge hätte eingestellt werden sollen, reicht dazu nicht aus. Dieses Konzept verbürgt nicht den nach der PDV 230 geforderten “grundsätzlichen Ausschluss” von Gefahren, weil Fehler nun einmal immer passieren können und in diesem Falle, wenn nämlich – wie hier geschehen – der Beschuss trotz Öffnen eines Fahrzeugs durch einen Teilnehmer entgegen der Vorgabe nicht eingestellt wird, der Teilnehmer vollkommen schutzlos ist.

(2)

30

Das vorstehend für die Übung am 15.11.2007 andere Grundsätze galten, weil es sich um eine Übung von Spezialkräften/Spezialeinheiten gehandelt hat, ist nicht zu erkennen. Insofern ist einmal festzuhalten, dass die vom beklagten Land selbst in Bezug genommene Vorschrift PDV 230 keine entsprechenden Einschränkung enthält. Was die PDV 211 angeht, die nach obigen Ausführungen hier zumindest zur Ausfüllung der entsprechenden Sicherheitsbestimmungen mitbestimmend ist, so besteht zwar dort nach Ziffer 1 die Möglichkeit, dass für Spezialkräfte/Spezialeinheiten abweichende Regelung geschaffen werden. Indes ist zwischen den Parteien nicht im Streit, dass solche abweichenden Regelungen jedenfalls für die Polizeikräfte in Nordrhein-Westfalen nicht existieren. Die vorrangig in der Berufung aufgeworfene Frage, ob der Kläger nun als Personenschützer, als der er unstreitig ausgebildet ist, zu den Spezialkräften der Polizei gehört oder nicht, ist daher ohne Belang.

c)

31

Die insoweit durch die vom Zeugen G gebilligte Anordnung des Zeugen M, auf individuelle Schutzausrüstung bei der Übung am 15.11.2007 zu verzichten, verletzte auch eine Amtspflicht, die auch und gerade dem Kläger gegenüber bestand. Ihr Zweck besteht darin, Gefahren für übende Polizisten wie den Kläger zu verhindern. Der Umstand, dass der Kläger seinerseits als Beamter im Dienst des beklagten Landes steht, hindert ihn nicht daran, einen Amtshaftungsanspruch gegen dieses wegen einer Verletzung ihm gegenüber bestehender Amtspflichten geltend zu machen (vgl. nur Palandt/Sprau, 71. Auflage, Rz. 47 zu § 839 BGB).

3)

32

Es fehlt aber an einem hinreichenden Verschulden der für das beklagte Land handelnden Amtsträger. Wie eingangs ausgeführt, ist aufgrund der Vorschrift des § 46 BeamtVG ein Anspruch aus § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG vorliegend nur dann gegeben, wenn eine vorsätzliche Amtspflichtverletzung vorliegt, wobei bedingter Vorsatz ausreichend ist. Dass die Zeugen G und M ihre Amtspflichten vorsätzlich verletzt haben, kann indes nicht festgestellt werden, was zu Lasten des insoweit darlegungs- und beweisbelasteten Klägers geht.

a)

33

Der Maßstab für die Prüfung der Frage, ob Vorsatz vorgelegen hat, ist dabei aus § 839 BGB zu entnehmen. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs handelt ein Amtsträger vorsätzlich, wenn er sich bewusst über die verletzte Amtspflicht hinwegsetzt. Zum Vorsatz gehört nicht nur die Kenntnis der Tatsachen, aus denen die Pflichtverletzung sich objektiv ergibt, sondern auch das Bewusstsein der Pflichtwidrigkeit, d.h. das Bewusstsein, gegen die Amtspflicht zu verstoßen. Zumindest muss der Amtsträger mit der Möglichkeit eines solchen Verstoßes rechnen und diesen billigend in Kauf nehmen (BGH, Urteil vom 11.12.1992 – III ZR 19/92, Tz. 14 zitiert nach juris; BGH, Urteil vom 19.03.1992 – III ZR 117/90, Tz. 10 zitiert nach juris; ). Zur Feststellung einer vorsätzlichen Amtspflichtverletzung genügt es insoweit, wenn der Amtsträger handelte, obwohl er zumindest mit der Möglichkeit rechnete, dass eine Dienstanweisung solches verbieten wollte. (BGH, Urteil vom 08.12.1983 – III ZR 72/82, Tz. 20 + 21 zitiert nach juris). Jedoch kann ein Rechtsirrtum ebenso wie ein Tatsachenirrtum einen Vorsatz hinsichtlich der Amtspflichtverletzung ausschließen (BGH, Urteil vom 13.06.1966 – III ZR 258/64, Tz. 10 zitiert nach juris). Dass der Amtsträger einen Schaden – oder gar den konkret aus der Pflichtverletzung entstandenen – vorausgesehen hat (oder auch nur voraussehen konnte), ist dagegen für die Bejahung des Vorsatzes nicht erforderlich (BGH, Urteil vom 08.04.1988 – V ZR 34/87, Tz. 21 zitiert nach juris).

b)

34

Bei Anwendung vorstehender Grundsätze auf den Streitfall gibt es keine Veranlassung von der Feststellung des Landgerichts abzuweichen, dass sich ein Vorsatz der Zeugen M und G zu einem amtspflichtwidrigen Verhalten nicht feststellen lasse.

35

Das Landgericht hat insoweit in Übereinstimmung mit der oben dargelegten Rechtslage ausgeführt, dass Vorsatz erfordere, dass der Amtsträger auch damit rechnen müsse, dass sein Verhalten einen Verstoß gegen eine Amtspflicht darstelle und dies billigend in Kauf nehme. In einer umfassenden und ausführlichen Würdigung der Beweisaufnahme hat es die Zeugen G und M als glaubwürdig und ihre Aussagen als glaubhaft eingeordnet. Es hat dabei ausdrücklich auf den Umstand abgestellt, dass das Eigeninteresse der Zeugen am Ausgang des Rechtsstreites ebenso wenig verkannt werden könne wie der Umstand, dass einige ihrer Aussagen zur rechtlichen Wertung nicht plausibel und nachvollziehbar erschienen. In der Summe hat es dies aber als unschädlich erachtet. Im Ergebnis der Beweisaufnahme sei zwar davon auszugehen, dass die Zeugen die entsprechenden Vorschriften kannten, aus denen sich die hier verletzte Pflicht ergäbe, für einen ausreichenden individuellen Schutz der Übungsteilnehmer Sorge zu tragen. Gleichwohl könne – so das Landgericht – nicht festgestellt werden, dass sie sich bei der Planung und Durchführung der Übung bewusst über diese hinwegsetzen wollten. Insofern habe die Beweisaufnahme ergeben, dass sowohl der Zeuge M als auch der Zeuge G übereinstimmend davon ausgegangenen seien, dass für Übungen der vorliegenden Art die PDV nicht unmittelbar sondern sinngemäß anzuwenden seien, da bei Trainings von Spezialkräften die Übung von Ausnahmesituationen auch ggf. höherer Gefahren in Kauf zu nehmen seien. Die Zeugen hätten nachvollziehbar dargestellt, weshalb sie bei dieser Einschätzung und den von ihnen getroffenen – wenn auch tatsächlich nicht ausreichenden – Sicherheitsvorkehrungen in gutem Glauben waren, bei der Planung und Genehmigung der Übung im Rahmen der geltenden Vorschriften zu handeln.

36

Der Senat ist gemäß § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO an die vom Landgericht getroffenen Feststellungen gebunden. Anhaltspunkte, die Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten könnten, hat der Kläger in der Berufungsbegründung weder dargetan, noch sind solche Anhaltspunkte anderweitig ersichtlich. Zweifel an der Vollständigkeit der Tatsachengrundlage ergeben sich dann, wenn eine Zeugenaussage die Urteilsgründe aus der Sicht des Berufungsgerichts nicht deckt, weil sich aus dem Protokoll ergibt, dass die Beweisaufnahme nicht erschöpfend war oder die protokollierte Aussage in Widerspruch zu den Urteilsgründen steht (vgl. Heßler in: Zöller, ZPO, 29. Auflage (2012), § 529 Rdnr. 7). Dies vermag der Senat im Streitfall jedoch nicht festzustellen.

37

Die mit der Berufung vorgebrachte Kritik an der erstinstanzlichen Beweiswürdigung und der in der Berufungsbegründung unternommene Versuch, die getroffenen Feststellungen anders – nämlich im Sinne des Klägers – zu würdigen, können nicht zu einer Abänderung der angefochtenen Entscheidung durch den Senat führen. Denn auch der Senat vermag im Streitfall bei Würdigung der vom Landgericht getroffenen Feststellungen, an die er gemäß § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO gebunden ist, nicht mit der für eine Verurteilung des Beklagten nach § 286 Abs. 1 ZPO erforderlichen Sicherheit zu der Überzeugung zu gelangen, dass die Zeugen G und M sich bewusst über die ihnen obliegenden Amtspflichten hinweggesetzt haben. Im Einzelnen:

38

Aus den vom Landgericht protokollierten Bekundungen des Zeugen G und des Zeugen M ergibt sich, dass diese davon ausgegangen sind, dass für die von ihnen geplante/gebilligte Übung die Vorschriften der PDV 211 bzw. 230 nicht buchstabengetreu gelten. Insofern haben sich beide Zeugen darauf berufen, dass andernfalls eine Ausbildung an den Erfordernissen der Praxis für Spezialkräfte nicht möglich sei. Weiter ist davon auszugehen, dass die Zeugen beide wussten, dass beim Einsatz von FX-Munition eine bestimmte Schutzausrüstung anzulegen ist, jedoch bei der vorliegenden Einsatzkonzeption diese Vorschrift nicht als verbindlich erachteten, weil eben nicht auf Personen geschossen werden sollte, sondern nur auf Fahrzeuge. Letzteres geht insbesondere aus der Aussage des Zeugen G explizit hervor. Der Zeuge M macht deutlich, dass er sich gehalten sah, im Rahmen der Übungsplanung den Teilnehmern drohenden Gefahren abzuschätzen und sie mit den Anforderungen an eine realistische Übung und der dabei vorgesehenen Teilnahme am Straßenverkehr ins Verhältnis zu setzen. Ausgehend von seinen Erwägungen war das Tragen einer Schutzmaske, welche nur 3-4 Minuten unter Stress getragen werden könne, bevor die Sichtscheiben beschlagen, mit einer Teilnahme am Straßenverkehr nicht zu vereinbaren. Zudem sollte den Teilnehmern unbekannt bleiben, dass sie bzw. ihr Fahrzeug im Rahmen der Übung beschossen werden sollten. Vor diesem Hintergrund habe er es als geboten angesehen, auf die Schutzkleidung zu verzichten. Man habe aber durch die übrige Einsatzplanung alles Mögliche getan, um den Schutz der Teilnehmer zu gewährleisten.

39

Daraus ergibt sich, dass sich die beiden Zeugen – in der Sache zu Unrecht, wie oben dargelegt – mehr Freiheiten bei der Konzeption von Übungen zugestanden haben, als die PDV und die übrigen oben zitierten Regelwerke ihnen einräumten. Gleiches gilt auch für die Frage, ob die Zeugen sich bewusst über die Richtlinien im Umgang mit Farbmarkierungssystem hinweggesetzt haben. Bewusst haben sie darauf verzichtet, die Schutzausrüstung anzulegen – allerdings in dem Glauben, dass diese Richtlinien deswegen keine Anwendung finden, weil ein Schießen auf Personen überhaupt nicht vorgesehen war

40

An keiner Stelle wird hingegen deutlich, dass die Zeugen erkannt hatten, dass die vorstehend beschriebenen Regeln und Sicherheitsanforderungen auch für die Übungskonzeption am 15.11.2007 uneingeschränkt anzuwenden waren. Vielmehr ergibt sich aus den Aussagen der Zeugen G und M in der Summe, dass sie seit Jahren zusammen mit ihren Kollegen davon ausgehen, sie dürften von strengen Sicherheitsrichtlinien abweichen, weil sich dies bei der Übung von Spezialkräften nicht anders machen ließe. Der Zeuge M hat insofern angegeben, dass ihm nicht bewusst gewesen sei, gegen Vorschriften der PDV verstoßen zu haben. Vorher sei immer so gehandelt worden. Heute würde er eine solche Übung nicht mehr planen, da er andernfalls selbst belangt werden könne, was ein Risiko für seine Familie darstelle. Selbst wenn man letztere Aussage auch vor dem Hintergrund des aktuellen Rechtsstreits und der durch die Zeugenvernehmung eingetretenen Konfrontation auch mit dem Gedanken eines möglichen Regresses betrachten mag, so lässt sich den Aussagen der beiden Zeugen G und M an keiner Stelle entnehmen, dass sie sich bewusst über eine von ihnen für die gegebene Situation als verbindlich erkannte Amtspflicht hinweggesetzt haben.

41

Vorzuwerfen ist den Zeugen “lediglich”, dass sie sich teilweise mit Gewissheiten abgegeben haben, die bei näherer Lektüre der einschlägigen Ausbildungsvorschriften keine Stütze gefunden hätten. Dies aber reicht für den Vorwurf eines vorsätzlichen Verstoßes gegen Amtspflichten nicht aus, sondern begründet den Vorwurf eines – als grob fahrlässig einzuordnenden – Rechtsirrtums.

4)

42

Soweit der Kläger erstmals im Rahmen der Berufung eine vorsätzliche, für seinen Schaden ursächliche Pflichtverletzung darin sieht, dass die Zeugen G und M es unterlassen hätten, sich hinreichend im Hinblick auf die anzuwendenden Sicherheitsbestimmungen fort- und weiterzubilden, kann offenbleiben, ob dieses neue Vorbringen nach § 531 ZPO zulässig ist. Unabhängig von der Frage, ob insoweit eine gegenüber dem Kläger bestehende Amtspflicht verletzt wurde, fehlt es jedenfalls an der Feststellung des auch insoweit erforderlichen Vorsatzes.

43

Ein Vorsatz im Hinblick auf eine unterlassenen Fortbildung würde zumindest erfordern, dass den beiden Zeugen es als möglich erschienen wäre, trotz unzutreffenden Verständnisses der maßgeblichen Rechtsgrundlagen Übungen geplant und durchgeführt zu haben. Dazu ergibt sich aber aus der Vernehmung der beiden Zeugen kein Anhaltspunkt. Diese waren sich vielmehr sicher, dass sie das, was sie getan haben, auch tun durften. Dass sie selber bei sich einen Fortbildungsbedarf erkannt haben, ist nicht im Ansatz den Aussagen der beiden Zeugen zu entnehmen.

III.

44

Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711 ZPO.

45

Die Revision ist nicht zuzulassen, da die Zulassungsvoraussetzungen gemäß § 543 Abs. 2 ZPO nicht vorliegen. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung und die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordert nicht eine Entscheidung des Revisionsgerichts.

46

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 22.500 EUR festgesetzt.

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